Montag, 19. Juli 2010

In Pondicherry begegnen sich Europa und Asien


 
Puducherry. Es ist der Tag vor Karfreitag. Durch die Stadt ziehen Gospelchöre und ein Feuerwerk erhellt den Himmel über dem Golf von Bengalen. In Puducherry, 120 Kilometer südlich von Madras, geht es auch während der Karwoche laut zu.

Jesus TV heißt ein Fernsehsender, der mitten im französischen Viertel von Puducherry beheimatet ist. Aus dem Gebäude des Senders hört man singende Gläubige, die sich auf das Osterfest vorbereiten. Auch in der Eglise de Notre Dame des Anges und den übrigen Kirchen der Umgebung versammeln sich Christen, die sich nach hinduistischem Vorbild die Schuhe ausziehen, bevor sie hineingehen. Eines der Gotteshäuser ziert ein neon-grünes Kreuz, auf die Mutter Gottes weist ein kobaltblauer Lichtspot. Auch das ein wenig den Tempeln der Hindus abgeschaut, auf denen schrillbunte Götterfiguren sitzen.

Es könnte ebenso gut bereits Ostern sein, von fasten zeitlicher Einkehr keine Spur. In den Gartenrestaurants ist Hochbetrieb und in Erwartung französischer Küche kehren wir ein und finden einen Platz auf der fast vollbesetzten Terrasse. Die Speisekarte auf Englisch und Französisch könnte einem Café der Côte d'Azur entstammen. In Pondicherry - kurz Pondy - oder Puducherry, wie es 2006 benannt wurde, wird Tamil, Telugu, Malayalam, Englisch und Französisch gesprochen. Im französischen Stadtteil White City gibt es einen Jeanne d'Arc Park (geschrieben Joan De Arc Parc) sowie Straßen mit wohlklingenden Namen wie La Bourdonaise Street oder Romain Rolland Street. Im Gegensatz zur Black City, dem typisch indischen Gegenstück, sind in White City die Häuser nach französischem Vorbild restauriert. Noch heute leben dort vorwiegend Franzosen, aber auch Deutsche und andere Europäer.

Stille herrscht um die in den tropischen Gärten gelegenen Häuser, kein reges Markttreiben oder lauter Verkehrslärm stört die Eintracht. Man fühlt sich in eine französische Kleinstadt versetzt. Hupen, im indischen Verkehr selbstverständlich, ist hier streng verboten. Die Mandala-ähnlichen Gebilde, die indische Hausfrauen und Bedienstete jeden Morgen neu mit Reismehl vor ihre Türen malen, sind besonders bunt und groß, häufig als Blumenmuster gezeichnet.


Während wir unseren französischen Salat verzehren, fährt draußen ein Lastwagen mit Aufbau vorbei. Jesus Loves you, intoniert der Gospelchor, dessen Sänger auf der fahrbaren Bühne sitzen und für Jesus TV Werbung machen. Denselben Laster finden wir am nächsten Tag zweckentfremdet wieder, als Werbemedium für Waschmaschinen. Außenwerbung zum Anfassen für Religiöses und den Wunsch nach Sauberkeit. In Indien liegt beides jedenfalls ganz nahe beieinander.

Den Traum vom friedvollen Beieinander scheint sich im Sri-Aurobindu-Ashram in der Rue de la Marine erfüllt zu haben. Es ist einer der reichsten und bekanntesten Ashrams Indiens, der Mitte der 20er Jahre von Sri Aurobindo gegründet wurde. Mirra Alfassa, eine Schülerin des indischen Freiheitskämpfers und Philosophen, genannt "The Mother", gründete später ganz in der Nähe von Pondi Auroville, eine Stadt, in der Menschen aller Nationen in Harmonie zusammen leben sollen.

Nachdem wir gegessen haben, lassen wir uns ein wenig treiben durch die Shopping-Welt von White City. Viele kleine Läden bieten Antiquitäten an - wobei der Begriff in Indien relativ ist. Alles was rund 20 Jahre und älter ist zählt dazu. In den Tropen überleben Möbelstücke nicht sehr lange. Die feuchte, heiße Luft und Insekten ruinieren selbst solideste Tischlerarbeit. Neben Gegenständen aus Holz finden sich hinduistische Götterfiguren aus Metall sowie Arbeiten der so genannten Tribes, Volksstämme, die man etwa mit den Zigeunern vergleichbar sind. Sie sind oft fahrendes Volk und fertigen typische Figuren - Tiere und Menschengestalten - an, die ein wenig an die Kunst afrikanischer Volksstämme erinnern. Auch für Fans von India Pop Art gibt es Shops für Modeartikel mit kunterbunten Götterfiguren. Krishna, Shiva und Co., ein wenig kitschi, ein wenig á la Bollywood, zieren Taschen, Geldbörsen und T-Shirts.

Text und Fotos: Senya Müller